Dr. Mark Benecke hält den Vortrag „Blutspuren“ in Friedrichshafen und die Zuschauer verlassen in Dauerschleife den Saal. Vor allem Männer können wohl kein Blut sehen.
Gut, was haben die Leute erwartet, was auf der Leinwand zu sehen sein wird, wenn der vielleicht bekannteste Forensiker Deutschlands einen Vortrag namens „Blutspuren“ anbietet? Außer, dass zweimal 60 Minuten lang Blut in jeder Farbvariation, in jedem Aggregatzustand und in jedem Kontext eines Verbrechens gezeigt wird. Sehr viel Blut. Echtes Blut.
Es ist alles echt, was die Zuschauer bei Benecke auf der Leinwand sehen. Reales Grauen als Faszinosum. Hand aufs Herz, das ist doch auch der Grund, warum so viele Menschen kommen. Das Echte liegt nun mal voll im Trend. Genauso wie bei den zahllosen True Crime Podcasts, die es mittlerweile gibt. Offensichtlich jagd uns nur noch das Echte echte Schauer über den Rücken.
Wer Marc Benecke nicht kennt: In seiner Persönlichkeit kommen zwei Dinge zusammen: größtmögliche emotionale Distanz, die ein Mensch zu dem haben kann, was seine Sinne wahrnehmen, gepaart mit dem größtmöglichen wissenschaftlichen Interesse an messbaren Fakten, die die Wahrheit widerspiegeln. Deshalb erforscht er all das, was man erforschen kann und andere nicht erforschen wollen: Blut, Leichen und die Psychen von Serienmördern und Vergewaltigern. Und am Ende des Tages scheint er trotz alledem gut zu schlafen.
Wie gut die etwa 40 bis 50 Personen in der Nacht nach dem Vortrag, den sie verlassen haben, geschlafen haben, ist nicht mehr zu messen. Gezählt habe ich nicht, es ist eine Schätzung von mir. Benecke würde mich nun maßregeln. Er glaubt nicht, er denkt nicht, er schätzt nicht. Er misst. Nur das Messen gibt Auskunft über die Wahrheit. Alles andere ist verzerrt.
Aber der Vortrag war auch verzerrt. Irgendwie. Denn jedes Mal, wenn jemand tuschelte, sich bewegte oder aufstand, blockierte Benecke den Bildschirm auf der Leinwand und unterbrach das Programm. „Fassen Sie sich ein Herz. Verlassen Sie den Saal. Das ist wirklich kein Problem.“ Das hatte er angekündigt, dass er das so machen werde. Und zwar deshalb, damit die Menschen, denen angesichts der schmierig blutigen Tatortbilder das eigene Blut nicht mehr rund im Kreis laufen wollte, mit bleichem Gesicht, aber in aller Ruhe den Saal verlassen konnten. Gut für den Blutfluss, schlecht für den Redefluss.
Spannend war es für all diejenigen, die Blut sehen konnten. Sie haben gelernt, woran man an den Spuren erkennt, aus welcher Höhe die Tropfen gefallen sind; woran man erkennt, aus welcher Richtung das Blut gespritzt ist; und sie haben gelernt, woran man erkennt, wie Textilien sich mit Blut vollsaugen. Und eines, was auch immer lernt, wenn man den Vorträgen des Tatortforschers lauscht: Vergessen Sie nicht, das Tatortkärtchen. Das hilft später, die Dimensionen des Tatorts auf den Fotos richtig festzuhalten. Die gab’s am Stand draußen.
Also, wer die Vorträge von Benecke nicht aushält, der wird kaum ein ansehnlicher Tatortreiniger. Ich will trotzdem auch für alle anderen hoffen, dass Sie niemals einen solchen echten Tatort aus nächster Nähe sehen. So gemütlich wie vor Beneckes Leinwand ist das nämlich nicht.
Erfahren Sie mehr über Dr. Marc Benecke im Internet: https://home.benecke.com